Das Geheimnis Bewußtsein
Wie genau Reize wahrgenommen und vor allem interpretiert werden, ist eine der großen unbeantworteten Fragen der Neurowissenschaft.
Wir kennen die unterschiedlichen Rezeptoren, die auf verschiedene Reize reagieren. Wir kennen die wichtigsten Leitbahnen, über die diese Reize weitergeleitet werden. Ebenso die Kerngebiete im ZNS, wo die Reize verarbeitet werden. Die Neurotransmitter, die an der Verarbeitung beteiligt sind, sind uns ebenso bekannt, wie einige der verschiedenen Hirnareale, die in diesem Prozess involviert werden.
Das sagt uns aber immer noch nicht, wie daraus das Bewusstsein entsteht. Und das liegt unter anderem an der Komplexität der Informationen, die für eine anscheinend einfache Wahrnehmung benötigt werden.
Wie erkennen wir Bilder ?
Mit Studenten benutze ich gerne ein banales Beispiel : ich zeige das Bild einer Tasse und frage, was sie sehen. Natürlich würde jeder von uns sofort sagen : Eine Tasse, was soll die Frage ? Aber das ist nicht, was sie gesehen haben. Erstens haben sie keine Tasse gesehen, sondern ein Bild einer Tasse. Und streng genommen noch nicht mal ein Bild, sondern nur eine große Anzahl von elektromagnetischen Wellen, die in einem spezifischen Spektrum liegen. Mit anderen Worten :
Sie haben aus einer Summe von Informationen das Bewußtsein “Tasse“ simuliert.
Versuchen wir nachzuvollziehen, wie das funktioniert :
Unser Auge besitzt verschieden Rezeptoren, mit denen wir eine bestimmte Anzahl unterschiedlicher Wellenlängen wahrnehmen können. Wenn diese Rezeptoren durch Licht gefeuert werden, senden sie elektrische Impulse über den Sehnerv ins ZNS. Dabei ist wichtig, das jedes Auge Informationen in beide Gehirnhälften sendet. Dieser elektrische Input gelangt in die große Filterstation des Gehirns : den Thalamus (genauer gesagt in ein Kerngebiet des Thalamus, den Nucleus geniculate lateralis). Dort werden die Signale geordnet (Farbe, Bewegung, Form ...) und zum primären visuellen Kortex (V1) im Okzipitallappen weitergeleitet. Im diesem Hirngebiet erfolgt die erste Zurückwandlung der elektrischen Signale in visuelle Wahrnehmung. Wie genau im Detail, ist immer noch nicht zu 100% geklärt.
Aber wir müssen mit diesen primären visuellen Informationen auch etwas anfangen können : dafür werden die sekundären und tertiären visuellen Kortexareale benötigt. Hier erfolgt ein Abgleich mit Erinnerungen, Erfahrungen und Erwartungen, damit wir eine konkrete Vorstellung von dem Bild bekommen. Anschließend interpretieren die Studenten dieses Bild, wenn sie auf meine Frage antworten : aus einer Abbildung eines Objektes, wird ein konkretes Objekt mit einer spezifischen Funktion. Und anschließend muss diese Interpretation noch kommuniziert werden, wofür wir weitere komplexe Prozesse des ZNS benötigen.
Wie verläßlich sind diese Informationen ?
Ein großer Teil der Erkenntnisse über die notwendigen Hirnareale bezüglich der Informationsverarbeitung im ZNS beruhten ursprünglich auf Patienten, die aufgrund von Erkrankung oder Verletzung Dysfunktionen in speziellen Hirnarealen aufwiesen.
So konnten einige zum Beispiel zwar das Objekt “Tasse“ benennen, aber nicht mehr sagen, was man damit macht. Andere konnten das Objekt nach Form, Farbe oder ähnlichem beschreiben, aber wußten nicht mehr, was für ein Objekt das ist.
Aber auch bei intakten Hirnarealen können Störungen und damit Fehlinterpretationen auftreten. Entweder weil Informationen zu wenig oder zu viel gefiltert werden, bzw. wenn Erwartungen und Erfahrungen unsere Interpretation beeinflussen. Dieses ist bekannt aus optischen Täuschungen. Unser Gehirn hat vorerst Probleme ein Bild zu erkennen, weil es nicht genügend Informationen bekommt. Wenn wir das Bild einmal gesehen haben, wird es hingegen nahezu unmöglich es nicht mehr zu sehen. Unser Gehirn hat eine zusätzliche Information erhalten, die in die Interpretation des Bildes maßgeblich mitbestimmt.
Wir können bei schlechten Lichtverhältnissen schnell einen Baumschatten mit einer bedrohlichen Person verwechseln, oder in einer Menschenmenge fälschlicherweise die Person sehen, an die wir soeben gedacht hatten.
Die Neurowissenschaftlerin Lisa Feldman Barrett hat dieses sehr treffend formuliert : "Wir glauben nicht, was wir sehen. Wir sehen, was wir glauben."
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